Industrieelles Leben im Weißmaintal vor 70 Jahren .
Bericht aus der Zeitung "Fränkische Presse" vom 16. September 1947.
Wenn man von Bischofsgrün das waldbewachsene Weißmaintal abwärts wandert, kommt man an einem an
die Berglehne gebauten Gebäude vorbei, in den Maschinen surren. Es ist das Weißmainkraftwerk der BELG,
worin mit der an der Leite entlang abgeleiteten Wasserkraft des Weißen Mains über eine Turbine elektri-
scher Strom erzeugt wird. Die Anlage wurde in den ersten Nachkriegsjahren des ersten Weltkrieges geplant
und gebaut und ist wohl die einzigste ihrer Art im engeren Fichtelgebirgsraum. Der Kreis Oberfranken und eine Anzahl Städte führten seinerzeit das Bauvorhaben durch.
In Röhrenhof, der Eisenbahnhaltestelle vor dem Endpunkt Bischofsgrün befinden sich eng beieinander die
meisten Werkanlagen des oberen Maintales. Einst wurden in den mit Wasserkraft betriebenen Eisenhammer
Erzpochwerken und später Spiegelglasschleifereien, andere Erzeugnisse bearbeitet als gegenwärtig. Die Fa.
Heinrich Popp u. Co., elektrotechnische Fabrik und Kunstharzpresserei in Röhrenhof, ist in der Lage, die
Wasserkraft auszunützen und ihren Strom selbst zu erzeugen, um aus Preßstoff Elektroartikel herstellen zu
können. Das Unternehmen arbeitet mit 35 Personen in Schichten.
Auch die Firma Rudolf Frenzel, Pappen- und Asbestwerke Frankenhammer, benützt in ihrem Werk in Röh-
renhof eine Mühlenanlage bei der Herstellung ihrer Erzeugnisse. In Röhrenhof läßt sie gegenwärtig Bau-
platten von 60 Personen anfertigen.
Die Firma Heinrich betreibt in Röhrenhof auch, unter Ausnutzung der Wasserkraft, einen Steinmahlbetrieb
und beschäftigt 12 Arbeitskräfte.
Das Hartsteinwerk Küfner hat in Röhrenhof nur seine Verladeeinrichtung für seine Produkte, die in Escher-
lich gebrochen und verarbeitet und mit der Drahtseilbahn nach Röhrenhof transportiert werden.
Zwei Wohnhausneubauten an der Straße lassen erkennen, daß in dem industrieellen Winkel zwei Flücht-
linge am Wiedererstehen einer neuen Heimat tätig sind.
Ein Stück Weges weiter abwärts liegt die Gemeinde Goldmühl mit 370 Bewohnern (245 Einheimische und
125 Flüchtlinge). Ältere Industriewerke befinden sich dort nicht. Aber das Gablonzer Unternehmen , Glas-
warenindustrie Stumpe u. Co. , ließ sich dort nieder und ist bestrebt, sich zu erweitern; gegenwärtig werden
15 Arbeitskräfte beschäftigt. Im nahen Brandholz ließ sich ebenfalls eine Gablonzer Firma und zwar Her-
mann Siebeneichler nieder, dem gegenwärtig 6 Beschäftigte beim Wiederaufbau behilflich sind.
Da Goldmühl keine Industriestätten hat, wandte es sich dem Fremdenverkehr zu und bot sehr nette und
saubere Unterkunftsmöglichkeiten . Im Laufe der nächsten Jahre hofft es, auch darin wieder Aufnahmefä-
higkeit für Erholungssuchende zu erlangen. Als einen Vorboten kann man das Schild im blankgeputzten
Fenster eines Gasthauses bezeichnen, auf dem zu lesen ist, "Kaffee und Kuchen zu jeder Tageszeit". Den
Arbeitern von Goldmühl bieten sich Beschäftigungsmöglichkeiten in Röhrenhof und in Frankenhammer.
Das letztere ist ein Ortsteil von Berneck.
Frankenhammer beherbergt die Pappen- und Asbestwerke der Firma Rudolf Frenzel, die von 45 Personen
Hochdruckdichtungsmaterial herstellen läßt.
Die Möbelstoffwerke der Firma Vorwerk u. Co. in Frankenhammer arbeiten mit 50 Beschäftigten. Das Haupt-
werk befindet sich in Wuppertal. Weiter abwärts im Maintal steht der Betrieb der
Lackwarenfabrik W.L. Schwaab, Berneck, die gegenwärtig die Roßkastanien zu wichtigen Gebrauchsstoffen
wie Leim, Beizen, Stärke und Waschmittelzutaten verarbeitet. Hier sind zur Zeit 50 Personen tätig.
Im Granit- und Syenitwerk Jahn, Berneck, arbeiten 25 Beschäftigte.
In der Möbelschreinerei von P. Schirner - Berneck, von der es heißt, daß sie sich fortwährend vergrößert,
werkeln an die 60 Leute.
In einer solchen Zusammenstellung muß auch das von der Industrieentwicklung des letzten halben Jahr-
hunderts vergessene Bergwerkstädtchen Goldkronach mit erwähnt werden, weil es im letzten Jahrzehnt
wieder Anschluß an das große Wirtschaftsgeschehen der Zeit fand. Wohl war es eine Folge des Krieges ,
daß verschiedene Werkstätten in Goldkronach Arbeitsmöglichkeiten errichteten, aber sie konnten zum
Glück auch nach Beendigung des Völkermordens ihre Lebensfähigkeit behaupten, indem sie sich auf den
Friedensbedarf umstellten.
Da ist die Konfektionsfirma Geschwister Wittmann als größtes Unternehmen zu nennen, das zur Zeit 80
Personen in Lohn und Brot setzt und in diesem Jahr Büroräume errichten lassen konnte.
Die Firma Dr. Keil verarbeitet Holz und stellt mit 54 Arbeitern Serienmöbel her. Auch dieser Betrieb konnte
sich ein Wohnhaus erstellen lassen und im Oktober sollen auch die Werkstätten bezugsfertig sein.
Die Etuifabrik Hermann Röding erzeugt Futterale aller Art und arbeitet mit 6 Personen.
Die Firma Plantana besorgt mit 5 Beschäftigten die Heilkräutererzeugung und -verwertung.
Und in Heimarbeit machen 15 Personen Spielzeug für eine Bayreuther Firma.
Auch einige Gablonzer Familien sind dabei, sich in Goldkronach eine neue Wirkungsstätte zu errichten.
Die Firma Gustav Reckziegel beschäftigt bereits 11 Leute, Josef Reckziegel gibt 6 Personen Arbeitsmöglich-
keit mit der Herstellung von Glaskurzwaren. Bivernetz u.Co. hat 5 Glasdrücker und Kluge u. Reich arbeitet
mit 4 Beschäftigten. In den nächsten Wochen wird mit der Lieferung einer größeren Holzbaracke für die
Gablonzer gerechnet. Ein günstiger Aufstellplatz ist vorhanden, so daß einige Gablonzer wieder eine neue
Heimat finden und mit belebend für wirtschaftliche Regsamkeit wirken können.
Entgegen aller Hemmnise und Zeitschwierigkeiten konnten in Goldkronach zwei neue Häuser gebaut, zwei
Stockwerke ausgebaut, ein Werkstättenbau und Büroräume errichtet werden. Strebsame Kräfte können
selbst unter schwierigsten Bedingungen einem kleinen Gemeinwesen - Goldkronach zählt 1000 Einhei-
mische und 300 Flüchtlinge - vorwärts helfen.
Zeitungsbericht von Edwin Nenninger
Ausgesucht von Heinz Zahn - 28.01. 2017